So, liebe Telematik-Interessierte und -Kritiker. Ich habe ja lange nichts mehr in diesem Thread von mir hören lassen, denn ich wollte mich nicht weiter an Spekulationen beteiligen sondern einfach mal das erste Ergebnis abwarten.
Seit 16.11.2019 bis 30.09.2020, also gut 10 Monate lang, wurde mein Fahrverhalten erfasst und das mit folgendem Ergebnis:
Der Bonus auf die nächste Versicherungsprämie beträgt 25%.
Wahrscheinlich interessiert euch, wie ich gefahren bin, auch im Vergleich zu früher, und wo das System Grenzen und Fehler hat. Ich versuche das mal aus meiner subjektiven Sicht darzustellen.
Fahrverhalten:
Dieses hat sich kaum geändert. Ich bin in den letzten Jahren schon eher defensiv gefahren, d.h. nach Tacho max. 10 km/h schneller als erlaubt in Städten, etwa 80-90 auf Landstraßen und meist nicht schneller als 120 auf Autobahnen.
Was ich angepasst habe ist jedoch der Abstand zum Vordermann. Dieser hat sich etwas vergrößert. Ich nehme auch kaum noch das Handy während der Fahrt in die Hand, nicht mal im Stau, was ich früher gerne mal tat.
Welche Vergehen werden wie stark erfasst?
Schätzungsweise alle 3-4 Tage habe ich einen Gefahrenhinweis wegen "starkem Bremsen", "starker Beschleunigung", seltener wegen "starkem Lenken" oder "hohem Tempo". Diese vier Kategorien werden direkt in der App als Fehler angezeigt auf der Karte der jeweiligen Fahrt. Hierfür gibt es auch jeweils eine Art Tacho auf der ersten App-Seite, auf dem zu sehen ist, wie gut man in diesen Disziplinen die Erwartungen erfüllt und wie die Entwicklung aussieht.
Andere Dinge werden auch noch ausgewertet: Handynutzung, Fahrt von unfallträchtigen Strecken oder zu unfallträchtigen Zeiten. Ob und wie stark diese ins Gewicht fallen, ist leider nicht ersichtlich.
Zu meiner Strecke:
Ich fahre täglich zu Zeiten des Berufsverkehrs morgens meine Pendelstrecke von Heilbronn nach Stuttgart und abends wieder zurück. Das sind jeweils 45 km, schätzungsweise 60% Autobahn, 25% Landstraße und 15% Stadtfahrt. Auf der dreispurigen Autobahn ist die Geschwindigkeit auf weiten Strecken begrenzt und es gibt auch häufig Staus. Ich fahre meist mit Abstandstempomat auf der mittleren oder gelegentlich auch auf der rechten Spur, selbst wenn es mal zeitweise unter 100 km/h werden. Nur bei "Elefantenrennen" wird es mir manchmal zu blöd und ich gebe Gas und überhole ganz links.
Wie genau ist die Erfassung?
Für mein Empfinden ist die Erfassung durch den Sensor auf der Windschutzscheibe sehr genau. In den allermeisten Fällen merke ich schon während der Fahrt, dass eine Fahrsituation zu einem Gefahrenhinweis führen könnte. Nur sehr selten wird ein Hinweis gegeben, den ich nicht nachvollziehen kann. Andererseits gibt es auch Situationen, in der ich mir sicher bin, dass es einen Hinweis geben wird, der aber ausbleibt. Das gleicht sich also etwas aus.
Was fällt besonders negativ ins Gewicht?
Es gibt in der App neben den Einzelfahrten eine Wochenauswertung, Monatsauswertung und Gesamtauswertung. Ich hatte nur in den Monaten 11/2019 und 03/2020 Ausrutscher. Der im November 2019 war eine Vollbremsung vor einer Autobahnauffahrt, als es plötzlich wegen eines Rückstaus zum Stillstand kam. Den hatte ich recht spät bemerkt und auch der Abstand zum Vordermann war ehrlich gesagt wohl nicht groß genug. Jedenfalls half nur noch eine Vollbremsung und das kostete gleich ordentlich Punkte, zumal ich noch ganz am Anfang der Punkteerfassung stand.
Auch im März diesen Jahres hatte ich Situationen, in denen ich stärker Bremsen musste. Das kostete Punkte.
Starkes Bremsen scheint für mich also am Stärksten ins Gewicht zu fallen. Andere Situationen führten seitdem hingegen nicht zu Abwertungen.
Mit den Grundsätzen "angepasste Geschwindigkeit", "Abstand", "Rücksicht" und "Konzentration aufs Verkehrsgeschehen" bin ich seitdem gut gefahren. Kleine "Vergehen" fallen punktemäßig auch gar nicht ins Gewicht, wenn die Erfassung schon über einen langen Zeitraum läuft.
Was wurde falsch ausgewertet?
Tatsächlich gab es bisher nur zwei Situationen, in denen die App die Fahrt fehlerhaft interpretiert hat. Einmal fuhr ich durch eine Ortschaft mit den erlaubten maximal 50 km/h, die App sah mich jedoch auf einer Parallelstraße im Wohngebiet, wo es auf 30km/h beschränkt war. Das zweite mal fuhr ich mit max. 80 km/h auf der B27 nach Stuttgart rein und die App sah mich plötzlich (obwohl es hier gar keine Abzweigmöglichkeit gab) auf einer parallel verlaufenden Straße im Wohngebiet wo nur 50 erlaubt waren.
Beides also GPS-Ungenauigkeiten aber insgesamt so selten, dass ich das hinnehmen konnte.
Wo sind die Grenzen?
Es wurde hier im Thread ja schon angesprochen. Die Erfassung hat ihre Grenzen wo es um das "Warum" einer Handlung geht. Musste ich scharf bremsen, weil unvermittelt ein Kind vors Auto rennt oder nur weil ich abgelenkt war? War es nötig stark Gas zu geben, um von einer Seitenstraße in eine Lücke einer stark befahrenen Straße einzuscheren? Musste ich scharf einschlagen um einem unvorhergesehenen Hindernis auszuweichen oder bin ich nur nicht vorausschauend genug gefahren?
Ich wüsste nicht, wie man diese "Schwächen" ausräumen kann ohne zusätzlich noch Kameras anzubringen, welche Fahrsituationen weiter auswerten lassen. Dies aber wäre tatsächlich ein starker Schritt in Richtung Überwachung und auch unwirtschaftlich. Deshalb muss ich aktuell einfach manche "Rügen" hinnehmen, auch wenn ich einen mehr oder weniger guten Grund für mein Verhalten hatte.
Was die App auch nicht immer kennen kann sind sich ändernde Geschwindigkeitsbeschränkungen. Hier wird von Seiten der Versicherung so argumentiert, dass eine höhere Geschwindigkeit dann nicht zu Abzügen führt, wenn eine Vielzahl anderer (Telematikdienste verwendender) Verkehrsteilnehmer an dieser Stelle ebenso schnell fährt. Die App "lernt" auf diese Weise mit diesem Problem umzugehen. Das scheint auch ganz gut zu funktionieren.
Lässt sich das System austricksen?
Eine Sache wird der Telematik ja immer wieder vorgeworfen und zwar, dass nicht erfasste Strecken - wegen Ausfall der Verbindung zum Handy etwa - negativ gewertet werden. Ich kann dies überhaupt nicht bestätigen. Tatsächlich hatte ich nach einem Handywechsel immer wieder Tage ohne Erfassung. Diese erschienen einfach nicht in der Auswertung aber die Punkte blieben gleich. Trotzdem hat die App das Problem mitbekommen, denn ich wurde in der App gefragt, ob Strecken fehlen würden und ich deshalb Unterstützung benötige.
Man scheint das System also austricksen zu können, indem man die Verbindung zum Handy trennt, was von Vorteil wäre, wenn man mal seine Bremsscheiben freibremsen will oder gar an einem Fahrsicherheitstraining teilnimmt.
Wie geht es weiter?
Erst mal warte ich ab wie der Beitrag im nächsten Jahr mit und ohne Telematik aussieht, vergleiche vielleicht auch wieder mal mit anderen Versicherungen. Bisher war die HUK24 für mich immer die günstigste, so dass ich auch weiterhin - auch mit Telematik - geneigt bin dort zu bleiben.
Interessant wird es auch sein, wie die Erfassung im neuen Jahr aussieht. Bleibe ich erst mal bei 90 Punkten und 25% Beitragsersparnis? Die App zeigt aktuell noch nichts an, weil ich noch nicht mindestens 30 Minuten seit dem 01.10. gefahren bin.
Hier noch ein paar Fotos aus der App:
Monatsfahrwert
01.Monatsfahrwert.jpg
Gesamtfahrwert
02.Gesamtfahrwert.jpg
Folgebonus 2021
03.Folgebonus_09-2020.jpg